Günter Wigbers, Samtgemeindebürgermeister der Samtgemeinde Sögel
Gemeindedirektor der Gemeinde Sögel
(26.06.2020)
Verehrte Mitbürgerinnen und Mitbürger,
nach größeren Infektionsgeschehen auf ausländischen und einigen bundesdeutschen Schlachthöfen, bei Paketdienstleistern, nach Familienfeiern oder Gottesdiensten, ist auch in Sögel und der gesamten Region die Sorge der Menschen groß; schließlich arbeiten bei Firma Weidemark rund 2.000 Menschen. Gerade in den letzten Tagen erreichen uns viele Fragen rund um das Thema Corona und welche Vorsorgemaßnahmen bisher getroffen wurden. Auch werden wir um Einschätzungen gebeten, wie sich die weitere Entwicklung darstellt. Eine Auswahl der häufigsten Fragestellungen und unsere Antworten darauf möchte ich Ihnen hiermit gern geben.
Es sind mehrere tausend Tests bereits erfolgt. Aktuell ist ein einziger Fall mit Bezug auf den Schlachthof bekannt. Alle Kontaktpersonen dieser infizierten Person befinden sich in häuslicher Quarantäne. 140 Personen aus dem gleichen Produktionsbereich der infizierten Mitarbeiterin sind gestern vorsorglich freigestellt worden, obwohl diese 140 Mitarbeiter gerade erst am Mittwoch dieser Woche negativ getestet worden. Ein Infektionsgeschehen ist daher nach unserem aktuellen Kenntnisstand nicht gegeben. Darüber hinaus gibt es – ohne Bezug zum Schlachthof – zwei neue Infektionsfälle in Sögel.
Die Schlachtkapazitäten sind in den letzten Tagen reduziert worden. Waren es in der Vergangenheit rund 15.000 Schweine, liegt diese Zahl aktuell zwischen 12.000 und 13.500 pro Tag. Die Gründe dafür sind vielfältig. Insbesondere aber liegt es wohl daran, dass derzeit zwecks Einhaltung von Abständen weniger Menschen auf dem Schlachthof arbeiten und großzügige Pausenregelungen gelten.
Nachdem der Einsatz der Mitarbeiter bereits um rund 20 Prozent reduziert worden ist, gilt für den Standort Sögel jetzt ein grundsätzlicher Einstellungsstopp. Von anderen Schlachthofstandorten dürfen keine Mitarbeiter nach Sögel wechseln. Wenn wenige Mitarbeiter in der jüngsten Vergangenheit noch aus Rumänien eingereist sind, galt für sie eine 14-tägige häusliche Quarantäne. Sie wurden zweimal getestet, und zwar bei ihrer Ankunft und vor der Arbeitsaufnahme auf dem Schlachthof.
Obwohl den Arbeitnehmern geraten wird, während der Urlaubszeit nicht in ihre Heimat zu fahren, werden alle Rückkehrer sowie grundsätzlich alle Personen, die länger als96 Stunden nicht im Schlachthof gewesen sind, erst dann der Zugang zum Werk gestattet, wenn ihre erneute Untersuchung einen negativen Befund ergeben hat.
Die Werkvertragsunternehmen und auch die Firma Weidemark halten vorsorglich Quarantäne-Wohnungen vor, um in einem Infektionsfall erkrankte Menschen zu isolieren. Bei Bedarf stellt das Werkvertragsunternehmen unter Aufsicht der Firma Weidemark die Versorgung betroffener Personen sicher.
Alle rund 2000 Mitarbeiter, auch aus der Verwaltung und aus der Fleischuntersuchungsstelle, sind bereits getestet worden. Diese Tests laufen weiter. Ziel ist es, alle Mitarbeiter aus den Produktionsbereichen wenigstens einmal pro Woche zu testen, um ein Infektionsgeschehen frühzeitig zu erkennen.
Es kommt darauf an, wer die Tests veranlasst. Das betriebseigene Testzentrum finanziert die Firma Weidemark. Behördlich veranlasste Tests werden nach unserer Kenntnis vom Land bezahlt. Außerdem sind auch die Krankenkassen eingebunden.
Alle Mitarbeiter verfügen über einen elektronisch auslesbaren Chip, der den Zugang zum Schlachthof gestattet. Um Missbrauch zu verhindern, ist am Werkstor außerdem ein Handvenenscanner im Einsatz, um die Identität der zutrittsberechtigten Person einwandfrei sicherzustellen.
An allen Zugängen sind Wärmebildkameras im Einsatz, um Menschen mit Symptomen frühzeitig zu erkennen. Das Gesundheitsamt und der Krisenstab in Meppen stehen in ständigem Austausch mit dem Schlachthof. Während die Lüftungsanlagen der Produktionsbereiche bereits vor Wochen mit Entkeimungsgeräten ausgestattet wurden, sind diese nun am vergangenen Wochenende auch in die Belüftungsanlagen für die Umkleide- und Pausenräume installiert worden. Um Begegnungen zwischen Arbeitern verschiedener Produktionsbereiche zu verhindern, gelten für die Nutzung von Sanitäreinrichtungen und Pausenräumen strenge Verhaltensregeln. Zeitlich versetzte Schichten und Pausen verhindern den Begegnungsverkehr der Arbeitskolonnen. Zusätzliche Zelte im Außenbereich mit Cateringstationen dienen als Pausenräume.
Während der Zoll, das Veterinäramt, das Gesundheitsamt, das Gewerbeaufsichtsamt, das betriebseigene Qualitätsmanagement und natürlich die großen Kunden wie Aldi, Lidl, Edeka oder auch McDonald’s den Schlachthof mit seinen hygienischen Anforderungen und Arbeitsabläufen schon immer regelmäßig kontrollieren oder durch Auditorenteams inspizieren lassen, sind diese Aufsichtstätigkeiten nochmals intensiviert worden.
Da einige Werkvertragsunternehmen ihren Hauptsitz im Kreis Gütersloh haben, sind deren Fahrzeuge dort auch zugelassen. Die in Sögel mit Gütersloher Kennzeichen vorhandenen Fahrzeuge werden aber nur hier vor Ort genutzt oder auf der Route Sögel-Osteuropa.
In unserem Zuständigkeitsbereich befinden sich aktuell rund 90 Werkvertragswohnungen, die laufend kontrolliert werden. Nicht wenige Arbeitnehmer wohnen aber auch mit ihren Familien in Privatwohnungen. Außerdem haben Arbeitnehmer auch privat und gemeinschaftlich mit Kollegen Wohnungen gemietet.
Für jede Werkvertragswohnung und für gemeinschaftlich genutzte Privatwohnungen haben wir einen deutschsprachigen Ansprechpartner, der uns, dem Ordnungsamt oder der Polizei bei zu klärenden Sachverhalten zur Verfügung steht.
Sämtliche Werkvertragswohnungen werden von der Samtgemeinde Sögel und dem Landkreis Emsland regelmäßig kontrolliert. Geprüft wird dabei, ob das Baurecht eingehalten ist, ob ausreichend Fluchtwege und Brandmelder vorhanden sind oder ob beispielsweise genug Sanitäreinheiten zur Verfügung stehen. In der Samtgemeinde Sögel gelten auf der Grundlage der mit den Werkvertragsfirmen geschlossenen Verträge über die niedersächsische Bauordnung hinaus höhere Anforderungen hinsichtlich der Ausstattung der Wohnungen mit Wasch- und Duschgelegenheiten. Der Grund dafür liegt darin, dass für Mitarbeiter eines lebensmittelverarbeitenden Betriebes hohe Hygieneanforderungen gelten müssen. Die Firma Weidemark hat darüber hinaus für die Wohnungen der eigenen und der Werkvertragsarbeitnehmer Desinfektionsmittel und Hygieneartikel zur Verfügung gestellt.
Die Firma Weidemark darf – genau wie Tönnies in Rheda-Wiedenbrück – nach Werkvertragsrecht und der gültigen datenschutzrechtlichen Regelungen nur im Besitz von Daten eigener Mitarbeiter sein, nicht aber der der Werkvertragsarbeitnehmer. Der Firma Weidemark selbst beispielsweise ist nur die Erfassung und Speicherung des Zugangs, nicht aber die Zeiterfassung und auch nicht Speicherung der Adressen der Werkvertragsarbeitnehmern erlaubt. Andererseits haben wir in Sögel mit dem Verhaltenskodex und der Wohnungszertifizierungsrichtlinie vertragliche Vereinbarungen mit den Werkvertragsunternehmen und verfügen so in Kombination mit dem Einwohnermeldewesen auch über einen jeweils sehr aktuellen Datenbestand.
Die Verunsicherung bei den Einheimischen ist die eine Seite. Die Verunsicherung bei den Arbeitnehmern ist aber genauso groß. Das Kolping-Europabüro wird seine Beratungsleistungen mit finanzieller Unterstützung der Samtgemeinde Sögel, die sich über die Werkvertragsunternehmen und die Firma Weidemark refinanziert, nochmals ausweiten. Das Kolping-Europabüro und die Samtgemeinde Sögel sind übereinstimmend der Auffassung, dass die ausländischen Mitarbeiter jetzt unsere besondere Solidarität brauchen. Mit der bevorstehenden Abschaffung des Werkvertragswesens werden sich viele Veränderungen ergeben und die Anforderungen an das Kolping-Europabüro nochmals steigen. Wir müssen den Arbeitnehmern ihre Zukunftsängste nehmen. Neben der persönlichen Beratung ist das Kontakthalten über die sozialen Medien mit den Arbeitnehmern in ihrer Landessprache nochmals wichtiger geworden.
Unabhängig von den Zukunftsängsten der Arbeitnehmer werden die Komplettschließungen von Schlachthöfen und die reduzierten Schlachtzahlen in Sögel wie auch an anderen Standorten die Landwirtschaft kurzfristig vor große Probleme stellen. Nach unserer Einschätzung fehlen derzeit gut 20 Prozent der Schlachtkapazitäten in Deutschland. Bei einer Millionen Schlachtungen pro Woche bedeutet dies, dass damit zu rechnen ist, dass bei weiter anhaltender Situation jede Woche 200.000 Schweine in Deutschland nicht geschlachtet werden können. Ferkelerzeuger, Mäster, Viehhändler, Zulieferer, Dienstleister und Handwerker, aber auch der Lebensmitteleinzelhandel werden unterschiedlich betroffen sein, manche wird es hart treffen. Und wir werden eine Tierschutzdebatte bekommen, bei der es darum gehen wird, wie es ethisch zu verantworten ist, hunderttausende von gesunden Schweinen und auch Ferkeln zu töten und in Deutschland Millionen Tonnen wertvoller Lebensmittel wegzuwerfen.
Günter Wigbers, Samtgemeindebürgermeister